Der Geistermeister – April 2021

 

Dieser E-Renner macht tüchtig Tempo.

1993. Philippe Kohlbrenner wohnt im tiefsten Emmental auf einem dieser sattgrünen Hügel. Zur Arbeit fährt er mit dem Velo. Technischer Kaufmann, Arbeitsort Oberburg. Auf dem Nachhauseweg lachen ihn 300 Höhenmeter an. Kohlbrenner ist clever. Er koppelt sein Velo mit einem Scheibenwischermotor und einer Autobatterie und lacht zurück. Geboren ist der „Rote Büffel“, eines der ersten E-Bikes der Schweiz. Daraus wächst der Schweizer E-Bike Pionier „Flyer“. 2009 baut „Thömu“ Binggeli den schnellen Stromer V1 und küsst eine ganze Branche wach.

Heute fährt fast jedes zweite verkaufte Velo unter Strom. Nach den E-Mountainbikes elektrisieren jetzt auch Renner. Doch die Rennfahrergemeinde huldigt der Kraft aus den eigenen Beinen. Sie wetteifert mit Armstrong und Froom, die mit ihrer Beinarbeit über 400 Watt geleistet haben und damit locker das Durchschnittstempo von 40km/h knackten. Weshalb also ein akkubetriebener Renner?

Doch betrachtet man dieses elegante, mattschwarze Karbonbike, juckt es in den Beinen. Mit rund elf Kilogramm haben findige Ingenieure den leichtesten E-Renner der Gegenwart auf die Räder gestellt. In diesem Stromer stecken die Gene einer mehrfach preisgekrönten Rennmaschine, dem Scott „Addict“. Die Geometrie ist beinahe identisch. Das Steuerrohr ist etwas länger, das Oberrohr etwas kürzer, was zu einer leicht entspannteren Sitzposition führt. Das in der Hinterradnabe verbaute und rekordverdächtig leichte Motorwerk von Mahle unterstützt bis 25km/h und bleibt fast unsichtbar. Der Akku steckt im Unterrohr. Er sorgt für rund 245 Wattstunden, was auf der höchsten Unterstützungsstufe für über 1’100 Höhenmeter reicht.

Eine Woche nach Ostern schiebt ein kräftiger Westwind weit entfernte Regenwolken Richtung Frienisberg. Er ist 660 Meter hoch. Wer vom Seeland direkt die Hauptstadt ansteuert, muss hier oben durch. Viel Reiz für ein elektrisierendes Rennrad. Sein Motor ist genial konstruiert. Er unterstützt wahlweise in drei Stufen und tut dies mit maximal 40 Newtonmeter so sanft und moderat, dass man im Vergleich mit anderen Motoren (bis 80 Newtonmeter) mehr Muskelarbeit verrichten muss. Der AHA-Effekt befreit: nach der 25km/h-Schwelle beschleicht einem im Gegensatz zu anderen E-Bikes nie das Gefühl, urplötzlich auf dem Asphalt festzukleben.

So gleite ich den Frienisberg hoch, schiesse mit gefühlten 50 km/h und mächtig Rückenwind wie auf Schienen durch Säriswil, verlängere die Bergstrecke motorbedingt freiwillig Richtung Schüpberg, teste beim Runterbrettern nach Schüpfen die fein dosierbaren Scheibenbremsen und klettere nochmals auf den Berg, um mit ein paar Pferden um die Wette zu rennen. Dabei sirrt das uralte Lied der Rennfahrergemeinde mit: das vom Fahrspass jenseits der 25 km/h-Marke. Ohne Motor. Ergo gibt es paradoxerweise diesen strombetriebenen Meister. Wie von Geisterhand macht er bis zur 25km/h-Marke tüchtig Tempo und schenkt uns danach ein schönes Stück Muskelspiel. Jetzt fallen die ersten Regentropfen. Ihnen fahre ich einfach davon und muss an Kohlbrenner denken. Dann wecke ich die Geister, die er rief. Yippie-ya-yeah.

Scott Addict eRide 10
Rahmen Carbon
Gewicht 11.6 kg
Reifen Schwalbe ONE Race-Guard Fold, 700x30C
Schaltung Shimano Ultegra Di2, 2x11, Electronic Shift System
Bremsen Shimano BR-R8070 Hydraulic Disc
Motor Mahle Motor, Nabenantrieb, 250 Watt, 40Nm Output, (Akkureichweite bis 120km)
Preis CHF 6’999.—
   

Biketester: Lorenz Schmid, Partner bei in flagranti communication und leidenschaftlicher Velofahrer

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