Der Sennenexpress – Das November-Velo

 

Wild auf den Berg

Meine Grosseltern wohnten am Berg. Zu ihrem Haus führte in den 80ern keine Strasse. Waren wir auf Besuch, parkten wir unser Auto in einem Wald unten im Tal neben einem wilden Bergbach. Mich beeindruckten damals die paar Kreidler Floretts RS, die dort parkten. Beige-grauer Farbton. Federgabel vorne. Gepäckträger hinten. Es war das Motorrad der Bergler, mit dem sie über Stein und Schotter furios auf die Alp stürmten, den Rucksack gefüllt mit Dingen, die das Bergleben leichter machten.

Für ein Motorrad war die Kreidler Florett federleicht (83–86 Kilos), ihr Federweg (110mm vorne, 95mm hinten) bergtauglich. Für sie gab es schon ab 16 Jahren im Eilzugstempo einen Führerschein. Und ein Motorrad ohne PS-Limit und Geschwindigkeitsbegrenzung. Gemäss Andy Schweitzer, einem passionierten Motorradjournalist, war die 50er Kreidler Florett aus dem Stuttgarter-Vorort Kornwestheim der familien- und entwicklungstherapeutisch bedeutendste Beitrag des deutschen Maschinenbaus zugunsten der 60er und 70er Jahre-Jugend. Für mich war die Kreidler Florett das Motorrad der Bergler. Es katapultierte Sennen im Handumdrehen auf die Alp und wieder runter.

Fünfzig Jahre nach der Kreidler Florett RS wurde in der Schweiz die Velomarke Bergstrom gegründet. Man wollte aus und für die Schweiz E-Mountainbikes entwickeln. Erdacht, konzipiert und konstruiert in St. Gallen. Die Marke gehört der Komenda AG, die auch Cresta und Ibex baut. Und sie verkörpert, wie damals die Marke Kreidler Florett, das junge Wilde.

Das Kürzel ATV steht für «Alpen-Trail-Velo» und macht unmissverständlich klar, dass das Velo für einen vielseitigen Einsatz vorbereitet wurde. Mit der 9er Serie vollzog Bergstrom den Schritt in den sportlichen Enduro- und Progressive-Trail Bereich. Das 929 zählt zu Letzterem. Mit seinen grossen 29 Zoll-Rädern ist es auf Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten ausgelegt. Sein Überroll-Verhalten meistert locker raues Terrain.

Eigentlich ist dieses Bike ein Motorrad. Im Vergleich zur Kreidler Florett ist es mit über 20 Kilos extrem leicht. Sein Motor leistet bei 120 Umdrehungen pro Minute und einem Drehmoment von 85 Newtonmetern rund 1.45 PS. Bei mehr Umdrehungen entsprechend mehr. Die Kreidler Florett brachte es bei rund 83 Kilos Systemgewicht auf 6.25 PS. Im Vergleich verfügen beide Maschinen über ein fast identisches Leistungsgewicht von rund 13 Kilos pro PS. Damit tritt das Bergstrom in die Fussstapfen des Kreidler Floretts. Es ist ein lautloser und hochmodern konstruierter Bergtöff für junge und junggebliebene Wilde. So fährt sich das Bergstrom auch. Stürmt man mit ihm den Berg hinauf, ziehen einem Schottergrund und Steigungen mit über 20% magisch an. Man meistert sie spielend und mit viel Bravour. Oben angelangt, lockt der Ritt ins Tal. Auf Knopfdruck senkt man den Sattel ab und überrollt mit stupender Leichtigkeit Stein, Fels und Wurzel.

Dieses E-Mountainbike ist keine agile Tänzerin. Aber es führt wilde Sennen und kühne Himmelsstürmer im Expresstempo auf den Gipfel und wieder runter. Moderne Sennen müssten Bergstrom fahren.

E-Mountainbike Bergstrom ATV 929
Rahmen Carbon
Gewicht 24.5 kg
Reifen Onza Porcupine 29x2.60 Zoll
Schaltung Shimano Deore 10-Speed
Bremsen SRAM DB 8
Motor Bosch CX, Smart System 85 Nm
Preis CHF 6’399.00
   

Biketester: Lorenz Schmid ist Partner bei in flagranti communication und fährt leidenschaftlich gerne Velos

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